Unterlassungsanspruch: Haftung eines Online-Musikhändlers wegen des Vertriebs eines persönlichkeitsrechtsverletzenden Musiktitels
Das Amtsgericht München hat in seinem Urteil vom 26. Juli 2019 (Az. 142 C 2276/19) entschieden, dass Online-Händler keine Prüfpflicht im Hinblick auf etwaige Persönlichkeitsrechtsverletzungen für auf ihren Online-Shops vertriebene Musik-Titel haben und Rechtsanwaltsgebühren für damit im Zusammenhang stehende Abmahnungen somit nicht erstattet werden müssen.
In dem Fall ging es um die Frage, inwieweit ein Online-Musikhändler zur inhaltlichen Prüfung der auf seinem Online-Handel vertriebenen Musik verpflichtet ist und in Konsequenz als Störer in Haftung genommen werden kann.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde; Die Klägerinnen sind minderjährige Töchter eines im deutschen TV bekannten Promipaares, der Beklagte ist gewerblicher Internethändler für Musik-CDs auf der Plattform eBay. Die Klägerinnen hatten in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht München I erwirkt, dass zwei deutsche Rapper in einem ihrer Lieder bestimmte Textpassagen zu unterlassen haben, da diese die Klägerinnen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt hatten.
Der Beklagte hatte das streitgegenständliche Album auf seiner Internetseite zum Verkauf angeboten. Die Klägerinnen hatten den Beklagten nach Erwirken der einstweiligen Verfügung sodann abgemahnt und zur Unterlassung sowie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Der Beklagte, meldete sich unverzüglich telefonisch beim Klägervertreter und teilte ihm mit, das Album nicht weiter zu vertreiben. Da dieser jedoch weiterhin auf die Abgabe der Unterlassungserklärung bestand, gab der Beklagte diese letztlich ab, woraufhin hin er eine Rechnung über die Anwaltsgebühren erhielt. Der Beklagte weigerte sich jedoch, die Rechnung zu begleichen.
Die Klägerinnen behaupten, dass es bei der streitgegenständlichen Abmahnung darum ging, möglichst schnell, effektiv und insbesondere nachhaltig alle bekannt gewordenen Vertriebskanäle des Songs zu verstopfen um eine weitere Verbreitung durch den Handel über das Internet möglichst zu verhindern oder wenigstens einzudämmen. Die Klagepartei ist der Meinung, dass vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG undArt. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 2 Abs. 1 GG, hilfsweise aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 683 BGB zu erstatten seien.
Die Klägerinnen, seien eindeutig identifizierbar in den streitgegenständlichen Text eingebunden und der dargestellte menschenverachtende Textteil sei durch den Beklagten im Rahmen seines gewerblichen Internethandels in der Öffentlichkeit verbreitet worden. Der streitgegenständliche Text sei geprägt von sexuellen und gleichzeitig extrem gewalttätigen Wünschen / Vorstellungen der beiden Rapper. Der Text stelle sich zudem als Straftat der Bedrohung nach § 241 StGB sowie Beleidigung im Sinne des § 185 StGB dar. Durch die beiden Strophen würden die Klägerinnen in ihrer unantastbaren Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG verletzt, so dass keine Abwägung vorzunehmen wäre. Die Rechtswidrigkeit der Textzeilen sei auch für Laien ohne weiteres und sofort erkennbar.
Durch seine Verbreitungshandlungen des rechtswidrigen Textes sei der Beklagte Störer nach § 1004 BGB und es sei in seinem wirtschaftlichen Interesse gewesen, dass ihn die Klägerinnen vorgerichtlich zur Vermeidung eines teureren Rechtsstreits zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung aufforderten. Der Beklagte habe die Übermittlung des Inhaltes der Audio-CD an seine Kunden selbst und eigenverantwortlich veranlasst und wähle auch die Adressaten der Inhalte aus. Wenn er dabei aus Kostengründen das Risiko eingehe, die von ihm angebotenen Produkte vorher nicht auf Rechtmäßigkeit zu prüfen, müsse er dieses Risiko und dessen Verwirklichung am Ende auch selbst wirtschaftlich tragen.
Der Beklagte behauptet, dass das gesamte Lied zu betrachten sei, um erkennen zu können, dass es sich um vereinzelte aneinandergereihte Zeilen handelt, die in keinen Zusammenhang miteinander stehen und keiner Logik folgen würden. Der Song habe auch gar keinen inhaltlich stringenten Text, der sich etwa durch das gesamte Werk ziehen würde. Eine die Menschenwürde verletzende Handlung liege nicht vor, auch eine Persönlichkeitsrechtsverletzung sei nicht offen erkennbar. Es handele sich um eine Aneinanderreihung diverser „Punch Lines“, die keinen Sachzusammenhang darstellen würden.
Bei 2.000 CDs mit einer Regelspielzeit von 1:30′ über 375 Tage lang zu 8 Stunden täglich sämtliche Tonträger anhören? Das ging auch der bayerischen Gerichtsbarkeit zu weit.
Gerichtsverfahren gegen eines eBay Händler wegen Musik Cds
Der Beklagte ist der Meinung, dass ein Anspruch der Klägerinnen auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten nicht bestehe. Insbesondere sei der Beklagte kein Gehilfe des hauptverantwortlichen
Rappers. Weder habe eine vorsätzliche noch eine fahrlässige Verbreitung der streitgegenständlichen Texte bzw. Zeilen bestanden. Der Beklagte sei kein unmittelbarer Störer. Der Beklagte habe als Ebay-Händler eine Vielzahl von Audio-CDs auf seiner Verkaufsseite vertrieben. Er habe eine Vielzahl verschiedenster Musik eingestellt und sei gerade nicht auf ein bestimmtes Genre oder bestimmte Künstler spezialisiert. Der Beklagte hafte auch nicht als mittelbarer Störer. Der Beklagte hätte bei den ständig verfügbaren Titeln von etwa 2.000 Stück bei einer Regelspielzeit von 1:30′ über 375 Tage lang zu 8 Stunden sämtliche Tonträger durchgehend anhören müssen. Bei einem Online-Handel auf eBay bestehe eine reaktive Prüfpflicht erst mit Kenntnis. Maßgeblich sei allenfalls der Zeitpunkt des Einstellens der CD, dabei sei es für den Beklagten nicht offensichtlich erkennbar gewesen, dass eines der Lieder auf dem Album eventuell einen rechtswidrigen Inhalt enthalten könne. Die Rechtswidrigkeit sei erst später im Rahmen der einstweiligen Verfügung festgestellt worden. Im einstweiligen Verfügungsverfahren habe in Bezug auf das betroffene Lied geklärt werden können, dass im vorliegenden Fall die Persönlichkeitsrechte der Klägerinnen über die Kunstfreiheit der Rapper überwiege, wobei hier lediglich eine summarische Prüfung vorgenommen worden sei. Eine solche Entscheidung und rechtliche Bewertung könne nicht auf Online-Händler abgewälzt werden. Als eine Rechtsverletzung gerichtlich festgestellt worden sei, habe der Beklagte nach Kenntnis sofort reagiert und den Klägervertreter angerufen. Als dieser auf eine Unterlassungserklärung bestanden habe, habe der Beklagte diese unverzüglich abgegeben.
Das Gericht entschied richtigerweise, dass die Klage abzuweisen ist. Nach dessen Auffassung hafte Beklagte weder als Täter noch als Gehilfe und auch nicht als Störer für die Verbreitung sowie die öffentliche Zugänglichmachung von den streitgegenständlichen Texten. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen hinsichtlich der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren aufgrund einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerinnen nach §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. 88 Art. 1 Abs. 1,2 Abs. 1 GG wurde deswegen verneint. Ebenfalls ein möglicher Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten aus § 683 BGB.
Das Gericht führt hierzu aus, dass ein Betroffener von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, wenn er ein geschütztes Recht widerrechtlich verletzt. Verletzer sind sowohl Täter und Teilnehmer einer Verletzungshandlung als auch Dritte, die willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beitragen, wenn sie als Störer angesehen werden können.
Hierzu zieht es die Grundsätze des Oberlandesgericht Münchens zur Buchhändlerhaftung auf Unterlassung aus seinem Urteil vom 24.10.2013 (vgl. OLG München, Urteil vom 24.10.2013, Az. 29 U 885/13, GRUR-RR 2014, 13) heran.
Nach Auffassung des Landgerichts München müsse im Bereich des Kennzeichenrechts hier eine an den Grundrechten orientierte Anpassung stattfinden. Nur so könne verhindert werden, dass ein Buchhändler für den Vertrieb von Plagiaten uneingeschränkt auf Unterlassung hafte. Diesem stehe zwar durchaus die Tatherrschaft zu, da er seinen Betrieb selbst steuere. Allerdings hätte dies zur Folge, dass der Buchhändler in unabsehbarer Weise der Gefahr von Abmahnungen wegen behaupteter Urheberrechtsverletzungen und der damit verbundenen Kosten ausgesetzt wäre. Der Aufwand, den er bereiten müsse, um einer solchen Prüfpflicht nachkommen zu können, würde außerhalb des zumutbaren liegen und das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen. Diese Beeinträchtigung griffe in den Schutzbereich der durch Art. 5 Absatz 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit ein, die ebenfalls die Vertriebstätigkeit von Buchhändlern schütze.
In einem solchen Fall sei daher im Wege der praktischen Konkordanz eine Interessenabwägung zwischen der konkurrierenden Grundrechte der Pressefreiheit des Buchhändlers und dem Eigentumsrecht des Urhebers zu vollziehen. Der Ausgleich müsse in diesem Fall durch ein differenziertes Haftungsregime vorgenommen werden, dass sich in der Praxis derart gestaltet, dass die Haftung eines Buchhändlers auf solche Verstöße beschränkt werde, die begangen werden, nachdem er auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist.
Laut Ansicht des Landgerichts München führe ein solches Erfordernis zu einem interessengerechten Ausgleich. Künftigen Vertriebshandlungen stehe entgegen, dass den Buchhändler ab dem Zeitpunkt der Kenntnis Prüfpflichten treffen, bei deren Nichteinhaltung er zumindest als Unterlassungsschuldner hafte. Seine Haftung beschränke sich auf die Privilegierung, dass Buchhändler die Kosten für einen abmahnungsähnlichen ersten Hinweis auf die Rechtsverletzung nicht zu tragen haben, es ihnen aber im Anschluss daran obliege, dem Hinweis entsprechende Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden. Dieses Ergebnis trage sowohl der grundrechtlichen Eigentumsschutz des Urhebers als auch der durch die Pressefreiheit geschützte Position der Buchhändler angemessen Rechnung.
Das Amtsgericht München schloss sich im vorliegenden Fall den Grundsätzen dieser Entscheidung inhaltlich an. Diese seien auf einen Onlinevertrieb von CDs übertragbar. Das Gericht führt hierzu aus:
“Der Beklagte hafte weder als Täter der Persönlichkeitsrechtsverletzung noch Gehilfe der Rapper. Er hatte weder Kenntnis vom rechtsverletzende Inhalt, noch sei vorgetragen worden, dass dieser nach Kenntnis die CD weiter vertrieben habe.“
Der Beklagte könne weiter auch nicht als Störer in Haftung genommen werden. Vorliegend habe ein abmahnungsähnlicher erster Hinweis auf die Rechtsverletzung vorgelegen, dessen Kosten von dem Gläubiger selbst zu tragen sind, da keine Störereigenschaft vorlag, da erst mit dem abmahnungsähnlichen ersten Hinweis dem vermeintlichen „Störer“ Kenntnis von einer etwaigen Verletzungshaftung verschafft wurde. Die Kosten für das erste abmahnungsähnliche Schreiben seien dann von der Klagepartei zu tragen.
Der Beklagte sei auch nicht als Störer zur Unterlassung verpflichtet gewesen. Diese setze das Vorliegen von Prüfpflichten voraus. Deren Umfang bestimme sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch genommenen nach den Umständen eine Prüfung zu zumuten sei. Das Gericht verneinte insoweit eine Prüfpflicht mit der Begründung, dass dies einem Online-Händler nicht zuzumuten sei. Zuzumuten sei ihm, dass bei Kenntnis von Rechtsverletzungen eine Überprüfung dahingehend stattfinden müsse, ob durch sein Handeln weitere Verletzungen verursacht werden. Das Gericht führt insoweit richtigerweise aus, dass dem Beklagten nicht zugemutet werden könne, alle CDs anzuhören (Vertrieb von über 2.000 CDs) bzw. deren Text zu überprüfen, ohne konkrete Kenntnis von einer Rechteverletzung zu haben. Der Beklagte (für sich allein) würde dabei bereits in zeitlicher Hinsicht gesehen an seine Grenzen stoßen.
Hinzu kommt, dass der Beklagte (als juristischer Laie) eine rechtliche Bewertung vornehmen müsse, was die Klägerpartei mit den Rappern in einem anderen Verfahren ebenfalls in nicht umstrittener Weise gerichtlich klären ließ, wobei es insoweit auch zu Abwägungen verschiedener Grundrechte (u.a. allgemeines Persönlichkeitsrecht, Kunstfreiheit) kam.
Der Beklagte könne auch nicht wissen, ob es nicht vielleicht sogar eine Einwilligung den Klägerinnen oder eine Ansprache mit den Rappern gegeben habe. Er konnte keinerlei Kenntnis von solchen Umständen haben.
Dem Beklagten sei es, erst recht insoweit als er als Störer in Anspruch genommen werden soll, nicht zuzumuten, jede von ihm vertriebene CD oder jeden Titel auf jegliche rechtsverletzende Inhalte zu untersuchen. Das würde wegen des damit verbundenen immensen Aufwands sein Geschäftsmodell gefährden.
Die verschuldensunabhängige Unterlassungshaftung, hätte zur Folge, dass Händler in unabsehbarer Weise der Gefahr von Abmahnungen wegen behaupteter Persönlichkeitsrechtsverletzungen und weiterer Verletzungen aus anderen Rechten und der damit verbundenen Kostenbelastung ausgesetzt wären, die sich wegen des damit verbundenen immensen Aufwands nicht in zumutbarer Weise durch eine Prüfung der angebotenen CDs eingrenzen ließe und deshalb das Geschäftsmodell des breitgefächerten Angebots von CDs und generell Audiowerken jeder Art in Frage stellen könne. Insoweit wendet das Amtsgericht München die Grundsätze des Landgerichts München auf Online-Musikhändler entsprechend an. Eine Störerhaftung vor Kenntnis sei in solchen Fällen nicht sachgerecht.
Dadurch würden die Betroffenen auch nicht schutzlos gestellt. Vielmehr könnten sie sich, wie auch durch die einstweilige Verfügung vor dem Landgericht München I, getan, gegen das Musiklabel oder aber auch gegen den Künstler/Rapper wenden.
Künftigen Vertriebshandlungen stehe entgegen, dass der Beklagte ab Kenntnis Prüfpflichten treffen, bei deren Nichteinhaltung er als Unterlassungsschuldner hafte.
Die Kosten der Klagepartei für einen abmahnungsähnlichen ersten Hinweis waren vorliegend allein streitgegenständlich. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Berufung der Klägerinnen vor dem Landgericht München wurde schließlich auf Anraten des Gerichts zurückgenommen.
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